Erst ein paar Monate liegt es zurück, daß unter den männlichen Mitgliedern einer DDR-Touristengruppe in Tallinn, der Hauptstadt der Estnischen SSR, beim Blick aus den "Intourist"-Busfen- stern merkliche Unruhe entstand. Ge- rade von Bord unseres FDGB-Urlauber- schiffs "Völkerfreundschaft" gekom- men und zur Stadtrundfahrt gestartet, erblickten sie hier völlig unerwartet ein Stück Heimat, das man selbst zu Hause schon fast nur noch im Eisenacher Au- tomobilmuseurn besichtigen kann: Ein EMW340-2, ein Typ, der in den Jahren 1949 bis 1955 am Fuß der Wartburg ge- |
baut wurde, umrundete ruhig und ele- gant den zentralen Ratz der reizvollen sowjetischen Ostseestadt. Verständlich, daß er zwischen all den modernen "Ladas", den "Wolga"- und "Moskwitsch"-Automobilen für einen Moment die Blicke mehr auf sich zog als des neue Hochhaus-Hotel, über das die Intourista-Reiseführerin gerade sprach. "Wie kommt denn der hierher?!" Ver- mutlich ist der Tallinner EMW, der übri- gens - wie wir zwei Tage später fest- stellten - in Riga wenigstens noch ei- nen "Kollegen" haben muß, schon zu je- |
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ner Anfangszeit des DDR-Automobil- baus, als das Eisenacher Werk noch Zweigbetrieb der SAG (Sowjetische Ak- tiengesellschaft) "Awtowelo" war, in - die Sowjetunion gekommen. (Die SAG hatte nach dem zweiten Weltkrieg über die in der damaligen Sowjetischen Be- satzungszone befindlichen Fahrzeug- werke, die während des Krieges für die faschistische Rüstung gearbeitet hat- ten, einstweilen die Verwaltung über- nommen.) Für mich, der ich die Tallinner Episode miterlebte, war sie Anlaß, der Ge- schichte der Autoproduktion in Eisen- ach, die sich am 3. Dezember 1986 zum 90. Male jährt, im volkseigenen Eisen- acher Automobilwerk, das sich - be- grenzt vom Ufer der Hörsel an seiner Rückfront und von der Bahnlinie an der Straßenseite - inmitten der Thüringer Kreisstadt lang und schmal hinstreckt, an Ort und Stelle nachzuspüren. Sach- kundiger und hilfsbereiter Partner bei diesem Vorhaben war mir Horst Ihling, bewährter Leiter der Öffentlichkeitsar- beit des Werks. Die 100000 sind kein Fernziel mehr Vor allem in den letzten Jahren haben - in Verwirklichung eines Beschlusses |
des Politbüros des ZK der SED und des DDR-Ministerrates zur kurzfristigen Er- höhung der Produktion von PKWs bei voller Sicherung der Ersatzteilfertigung - die Eisenacher Automobilwerker die "Wartburg"-Produktion ständig gestei- gert. 1984 z. B. wurden 10000 dieser Fahrzeuge mehr hergestellt als im Vor- jahr. Ähnliche Stückzahlsteigerungen sind in den Folgejahren vorgesehen, so daß eine Jahresproduktion von 100 000 kein Fernziel mehr ist. Da hat vor 90 Jahren noch keiner dran gedacht, ob- wohl Wachstumsorientierung, damals allerdings kapitalistisch motiviert, auch zu jener Zeit Pate stand. Anfang Dezember 1896, ein Jahrzehnt nach der Entwicklung und dem erstmali- gen Einsatz eines für Fahrzeugantriebe nutzbaren Verbrennungsmotors, grün- dete ein Bankenkonsortium unter Vor- sitz des Geheimen Baurates Ehrhardt, neben Krupp als zweiter deutscher "Ka- nonenkönig" bekannt, die Fahrzeugfa- brik Eisenach AG. Eine Gründung, die zur international verspäteten Entwick- lungsgeschichte des deutschen Impe- rialismus gehörte. Aus dieser Verspä- tung ergaben sich seine besonders ag- gressiven Zielstellungen bei der "Neu- aufteilung der Welt", die ja dann in den |
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ersten und später in den zweiten Welt- krieg mündeten. Das Ausgangs des 19. Jahrhunderts in- dustriell noch nicht erschlossene Eisen- ach schien dem Ehrhardt-Konsortium ein profitabler Platz für die Produktion fahrbaren Heeresgeräts zu sein. Die Verwirklichung dieses Vorhabens wurde nicht dadurch beeinträchtigt, daß be- reits 1898 zwei Modelle von "Wart- burg"-Motorwagen, das eine mit einem luftgekühlten dopppelten Einzylindermo- tor (479 cm³ Hubraum, 3,5-4PS), das andere mit einem leistungsstärkeren wassergekühlten Motor, auf die voll- gummibereiften Kutschenräder gesetzt wurden. Beweisen doch die späteren Ei- senacher Entwicklungsjahre nachhaltig die Tatsache, daß in der kapitalistisch geprägten Geschichte der technischen Entwicklung Rüstungs- und Konsumgü- terproduktion stets zwei aufs engste miteinander verflochtene Seiten der Profitmaximierung waren. Was die ersten "Wartburgs" anbelangt, so muß man den äußerlich noch voll- kommen der Pferdekutschenform ent- sprechenden beiden ersten Eisenacher Modellen, die ja gewissermaßen ein Stück Weltpremiere des Serien-Auto- mobilbaus überhaupt waren, bereits ei- nen richtungweisenden technischen Standard bescheinigen. Der leichte zweisitzige Aufbau war auf einen Stahl- rohrrahmen montiert und wurde vorn durch eine Querblattfeder abgefedert. Hinten hing er in weit nach oben ge- schwungenen C-Federn. Statt der in je- ner Zeit noch bestimmenden Drehsche- mellenkung, verfügten die Vorderräder bereits über eine Achsschenkellenkung, die mittels einer senkrecht stehenden Handkurbel - Vorläufer des Lenkrades - betätigt wurde. Drei Außenbandbrem- sen, zwei über Handhebel und eine über Fußpedal zu betätigen, wirkten auf die Hinterachse. Das Fahrzeug war damit durchaus nicht überdimensioniert, denn der 764-cm³-Motor des Modells 2 mit seinen 5 PS bei etwa 1000 U/min brachte das rund 315 kg schwere Ge- fährt im 1. Gang auf 10, im 2. auf 25 und im 3. Gang auf stolze 40 km/h, Nicht minder stolz war übrigens der Preis von |
3500 bis 3950 Goldmark, der den Käu- ferkreis zu einer Zeit, da die Stunden- löhne im Eisenacher Werk nach Pfenni- gen bemessen wurden, eindeutig cha- rakterisierte. Von der motorisierten Kutsche zum Automobil Die technische Progression der ersten "Wartburg"-Modelle blieb auch in der Folgezeit für das Werk kennzeichnend. Das gewährleisteten - vor allem in den ersten 10 Jahren nach der Jahrhundert- wende - zwei sehr befähigte Konstruk- teure, die Ingenieure Seck und Tru- mann. Mit den ersten "Dixi"-Modellen, die 1904/05 herauskamen, lösten sich die Eisenacher konsequent von der bis dahin vorherrschenden Kutschenform und machten mit Frontmotor, neuen Prinzipien der Kraftübertragung und mit Motoren von 1234 bis 4920 cm³ Hub- raum sowie entsprechender Leistung (z.B. "Dixi" S12, 1904: 2815 cm³, 20 PS bei 1200 U/min, Dreiganggetriebe, Schneckenlenkung, Holzspeichenräder, Eigenmasse etwa 900 kg, Höchstge- schwindigkeit 65 km/h) den erfolg- reichen Schritt zum wirklichen Automo- bil. Die Fabrik, die zu diesem Zeitpunkt ihre erste Erweiterung erfuhr und dazu überging, alle Zubehörteile, vom Zylin- derguß über Rahmen und Kühler bis hin zu den verschiedenen Karosserien, selbst herzustellen, erzielte mit den "Dixi"-Modellen in den damals aufkom- menden großen Tourenwagen-Wettbe- werben beachtliche Erfolge und expor- tierte ihre Automobile unter den Mar- kenzeichen "Regina-Dixi" nach Frank- reich und "Leander" nach England. Der große "Dixi" U35 - mit seinen 7320 cm³ und einem Radstand von 3260 mm erreichte er etwa 85 km/h - leitete sowohl konstruktiv als auch fir- mengeschichtlich einen neuen Entwick- lungssbschnitt ein. Er erhielt 1907 als wichtigste technische Neuheit einen Kardanantrieb. Diesem Positivum in der technischen Geschichte steht als histo- risches Negativum gegenüber, daß ge- rade auf diesem Typ die Grundkonzep- tion für die 1907/08 verstärkt begin- nende Eisenacher Heeres-LKW-Produk- |
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tion beruhte. Mit dem UO 30 als Vierton- ner-Heerestyp mit Kettenantrieb, der von der kaiserlichen deutschen Heeres- verwaltung subventioniert wurde, be- trieb das imperialistische Deutschland seine aggressiven Vorbereitungen für den verhängnisvollen Marsch in die Neuaufteilung der Welt, in den ersten Weltkrieg, der wenige Jahre später, kurz nach den Schüssen von Sarajevo, be- gann. Nicht unbeeinflußt von der Entwicklung des "Ford"-T-Modells, mit dem in den USA der konfektionierte Großserien-Au- tomobilbau eingeleitet wurde, lief 1914 in Eisenach die Entwicklung eines völlig neuen "Dixi"-Kleinwagens an. Sie wurde jedoch durch den Kriegsbeginn gestoppt. Rüstungsproduktion hatte nun über Jahre am Fuße der Wartburg Vorrang. Erste "rote Zelle" im Fahrzeugwerk Im Ergebnis der politischen Entwicklung während und nach dem ersten Welt- krieg, die zur Oktoberrevolution in Ruß- land, zur Novemberrevolution in Deutschland und zur Gründung der KPD führte, wurde sich auch die Eisenacher Arbeiterklasse, die vor allem im Fahr- zeugwerk konzentriert war, ihrer histori- schen Mission mehr und mehr bewußt. Im Februar 1919 ging von hier der An- stoß zur Gründung der KPD-Ortsgruppe Eisenach aus. Diese konzentrierte sich |
in den damaligen Klassenkämpfen vor allem auf den Einfluß im gewerkschaftli- chen Deutschen Metallarbeiterverband (DMV) und gewann so schnell breitere Wirkungsmöglichkeiten. So wurde der Vorsitzende der KPD-Ortsgruppe, Fritz Ifland, zum Ersten Bevollmächtigten des DMV-Ortsverbandes gewählt. Und die Kommunisten stellten sich auch an die Spitze der Kampfaktionen, als im selben Jahr von der Unterneh- mensleitung Massenentlassungen ange- kündigt wurden - mit der lapidaren Be- gründung "Wegfall der Rüstungspro- duktion". Die Entlassungen wurden ver- hindert. Die erste Aussperrung erlebten die Eisen- acher Fahrzeugbauer im November 1919. Sie war die Antwort der Direktion auf den im Oktober begonnenen Streik der Lehrlinge. Die Firmenleitung, die in diesem Jahr 680 531,07 Mark Reinge- winn verbuchte, hielt deren Forderun- gen für "völlig unannehmbar": Anerken- nung eines Jugendausschusses, Verle- gung der Berufsschulzeit in die Arbeits- zeit ohne Lohnabzug, zwei Wochen be- zahlten Urlaub für jeden Jugendlichen unter 18 Jahren. (Vom Reingewinn ent- fielen damals rund 450 000 Mark auf Di- videnden für die Aktionäre und 119 000 Mark auf Tantiemen und Gratifikationen an Vorstandsmitglieder und leitende Angestellte.) Gleich den Eisenacher Aktionären gab |
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es in der nach dem ersten Weltkrieg be- stehenden bürgerlich-demokratischen Weimarer Republik nicht wenige, die am Blut und Schweiß des Krieges ihren Profit gemacht hatten. Für sie vor allem wurden in den ersten Nachkriegsjahren in Eisenach Autos gebaut - überwie- gend größere "Dixi"-Typen. Auch drei LKW-Typen wurden produziert, die be- reits 1924 zur Ausrüstung der Reichs- wehr gehörten. Kennzeichnend dafür, wie das Kapital mehr und mehr zur Kon- zentration drängte, war 1921 auch der Zusammenschluß der Gothaer Waggon- fabrik mit dem Eisenacher Fahrzeug- werk. Die Dividende kletterte danach sprunghaft auf 25 Prozent. Verbunden mit der Verschmelzung der beiden Werke war auch die Verbindung des "Dixi"-Markenzeichens mit dem Symbol des laufenden Zentaurs, des Pferdemenschen aus der griechischen Mythologie. Die Leipziger Frühjahrs- messe 1921 war ein willkommener An- laß, diese Kapitalhochzeit werbewirk- sam mit einem großen "Dixi"-Umzug |
durch die Messestadt publik zu ma-- chen. Darüber ist der Bericht einer Leip- ziger Zeitung erhalten geblieben, der - weil er sich so köstlich liest - in diesem Versuch, neun Jahrzehnte Eisenacher Automobilgeschichte nachzuzeichnen, nicht fehlen darf: "Ein höchst eigenartiges, an das trojani- sche Pferd der klassischen Sage erin- nerndes Zeichen beherrscht diesmal die durch Umzüge belebten Straßen. Fast vier Meter hoch zeigt sich der in Stein gehauene Kentaur, die Handelsmarke der Dixi-Fahrzeugfabrik Eisenach. Kraft und Schnelligkeit in seinen stattlichen Muskeln verkörpernd, zieht er des We- ges, und es folgen dem langmähnigen Pferdemenschen eine Reihe von Kraft- wagen verschiedener Stärken, die unter diesem Zeichen geschaffen, mit seinen hervorragenden Eigenschaften begabt sind. Mit Überzeugung wird für die Güte und Schönheit dieser Erzeugnisse deut- scher Industrie eintreten, wer die sich lohnende Zeit auf die Betrachtung des Dixi-Zuges verwendet." |
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Während in den USA ausgangs der zwanziger Jahre auf fünf Einwohner ein Automobil kam (in England 38:1, in Frankreich 43:1), betrug der Motorisie- rungsgrad in Deutschland zu jener Zeit 134:1, ein kaum verwunderlicher Fakt, wenn man davon ausgeht, daß hier zu dieser Zeit Autos nur als Statussymbol für die Vermögenden gebaut wurden. So kostete damals z.B. ein "Adler" 6400 Mark, ein "Audi" 22500 Mark, ein "Mer- cedes-Benz" 22750 Mark und ein großer "Maybach" sogar 28000 Mark. Der "Dixi" war für etwa 3000 Mark zu ha- ben. Doch selbst das war für eine Arbei- terfamilie mit knapp 22,- Mark Wo- cheneinkommen Anfang der dreißiger Jahre völlig unerschwinglich. So setzte sich auch in Eisenach mehr und mehr die Erkenntnis durch, daß eine weitere Profitsteigerung nur mit ei- nem in Massenproduktion gefertigten Fahrzeug, das auch einen erschwingli- chen Preis aufweist, zu erreichen war. In großer Eile wurde die technologische Umrüstung des Werkes, der übrigens 700 Arbeitsplätze zum Opfer fielen, be- trieben. Und da die eigene Konstruk- tionsabteilung sich so schnell nicht auf die Standardisierungsanforderungen der Großserienfertigung einzustellen |
vermochte, erwarb man eine britische "Austin"-Lizenz, die zum "Dixi"-Klein- Wagen DA1 umfunktioniert wurde (743 cm³, 15 PS bei 3000 U/min, luftbe- reifte Drahtspeichenräder, 70-75 km/h, 6 l/100 km). Vom DA1 wurden allein 1928 rund 9300 Stück gebaut - fast so- viel Autos, wie in den ersten drei Jahr- zehnten seit der Werksgründung in Ei- senach überhaupt. Für die BMW-AG zweifellos günstig, als sie 1928 das Eisen- acher Fahrzeugwerk übernahm und der neue "Dixi" damit zugleich auch das erste BMW-Automobil wurde. Die Folgejahre sind geprägt von einer Entwicklung, wie sie im Werk schon vor dem ersten Weltkrieg zu beobachten war. Neben einer technisch immer ver- sierteren und perfekteren Automobil- produktion, die sich nicht zuletzt in höchst erfolgreichen BMW-Rennwa- gen, gesteuert von erstklassigen Fah- rern wie Manfred von Brauchitsch, zeigte, nahm die erneute Kriegsvorbe- reitung des deutschen Monopolkapitals, das sich dafür des faschistischen Regi- mes bediente, in aller Stille immer grö- ßere Ausmaße an. Weit mehr als die Hälfte der Eisenacher BMW-Beleg- schaft war 1933 in sogenannten Spezial- artikelabteilungen beschäftigt: Laffet- |
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tenbau, Minenwerfer, Sturmgeschütze, Panzerabwehrkanonen, Gelände-Mann- schaftswagen. Wöchentlich verließen 30 bis 50 Geschütze das Werk, später kamen noch Flugmotorenteile, kom- plette Flugmotoren, Panzerplatten und Panzerteile dazu - die Kehrseite glän- zender technischer Automobilentwick- lung unter kapitalistischen Produktions- verhältnissen. Und auch dies gehört zu dieser Kehr- seite: Gearbeitet wurde während des zweiten Weltkriegs bei BMW 8,5 bis 10,5 Stunden an sechs Tagen in der Wo- che. Der durchschnittliche Stundenlohn lag für Facharbeiter bei 1 Reichsmark, für Ungelernte bei 0,65 RM - ausge- nommen natürlich die fast 5000 "Fremd- arbeiter", Kriegsgefangenen und KZ- Häftlinge. Das BMW-Grundkapital stieg auf diese Weise von 15 Millionen RM im Jahre 1939 auf 200 Millionen RM im Jahr 1944 bei einer regelmäßig ausge- schütteten Dividende von 8 Prozent. |
Statt Demontage Neubeginn für die Zukunft Mai 1945. Das Werk ist zu 65 bis 70 Pro- zent zerstört und durch Verlagerungen von seinen Produktionsmitteln entblößt. Der Krieg hat die besten Facharbeiter verschlungen. Bis zum Juli verbleibt Ei- senach unter USA-Besatzung. Der BMW-Direktor, Wehrwirtschaftsführer Fattler, genießt die volle Sympathie der Besatzer. Nicht so die illegal gegrün- dete KPD-Betriebsgruppe und der von ihr gebildete Arbeiterausschuß. Ihre Be- mühungen um Aufräumungsarbeiten und Produktionsaufnahme werden mit allen Mitteln behindert, bis - entspre- chend dem Potsdamer Abkommen - im Juli 1945 sowjetische Soldaten in Eisen- ach einrücken. Im Oktober 1945 werden die ersten zehn PKWs des zweitürigen Vorkriegsmo- dells 321 (Sechszylinder-Viertaktmotor, 1971 cm³, 45 PS bei 3750 U/min, 115 km/h, 6-V-Elektrik) sowie 20 Motor- |
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räder des bekannten Typs R 35 herge- stellt. Die SMAD (Sowjetische Militär- administration in Deutschland) hatte den ursprünglich für den BMW-Rü- tungsbetrieb erlassenen Demontage- befehl aufgehoben und mit dem SMAD- Befehl Nr. 93 gewissermaßen die Ge- burtsurkunde für den Neubeginn der Automobilproduktion in Eisenach aus- gestellt. Nachdem am 15. September 1946 das Eisenacher Werk als Teilbetrieb in die SAG "Awtowelo" eingegliedert worden war, vollzog sich eine für die damaligen Verhältnisse schnelle Entwicklung. (Muß man doch berücksichtigen, daß der Krieg die internationale PKW-Pro- duktion weitgehend gelähmt und die eu- ropäische auch stark dezimiert hatte. So wurden in Eisenach 1948 bereits wie- der 2398 PKWs und 2957 Motorräder gebaut. Parallel dazu liefen die Entwick- lungsarbeiten an einem neuen Modell, eben jenem EMW 340-2, von dem ein- gangs dieser Betrachtung die Rede war und der im Gründungsjahr der DDR Pro- duktionspremiere hatte. Die vom Krieg |
verursachten Schäden waren im Werk zu jener Zeit fast vollständig beseitigt, so daß der repräsentative Sechszylinder typisch Eisenacher Bauart (1971 cm³, 55 PS bei 3750 U/min, Radstand 2884 mm, 120 km/h, 11,5 l/100 km) bis 1955 in beachtlicher Serie hergestellt werden konnte. Mitte des Jahres 1952 wurde das voll produzierende Werk von der Sowjet- union an die DDR übergeben und zum VEB Automobilwerk Eisenach (AWE) umbenannt. Zu jener Zeit setzten in der DDR auch die ersten grundsätzlichen Überlegungen für ein eigenes Automo- bilbaukonzept ein. Die seit der Werks- gründung in Eisenach 1896 dominie- rende Linie - mit Ausnahme des "Dixi" DA-1 -, größere, repräsentative Modelle zu bauen, konnte entsprechend den neuen gesellschaftlichen Verhält- nissen im deutschen Arbeiter-und-Bau- ern-Staat nicht konzeptionsbestimmend sein. Und so wurde dem AWE zunächst die Produktion des IFA F9, des ersten PKW mit Zweitaktmotor in der Werks- geschichte, übertragen. Sein Entwurf |
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stammte noch aus der Vorkriegszeit - von Audi in Zwickau. Die Eisenacher Facharbeiter und Inge- nieure, obwohl voller Stolz auf ihre großvolumigen Sechszylinder, "verkraf- teten" diese Umstellung auf den 900-cm³-Zweitakter mit der ihnen eige- nen Konsequenz, jeder Sache ihren spe- zifischen, schöpferischen Stempel auf- zudrücken. Und während der F9-Motor mit seinen 28 PS noch auf 32 PS hoch- gepäppelt, die Stockschaltung durch eine Lenkradschaltung abgelöst und statt Fallbenzin eine Kraftstoffpumpe eingebaut wurde, um nur einige der konstruktiven Verbesserungen zu nen- nen, waren die Konstrukteure schon da- bei, aus dem "Fremdling" wieder ein ei- genes Eisenacher Auto zu machen. Das stellte sich dann als Typ 311 zum ersten Male mit dem Markennamen "Wart- burg" auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1956 vor, genau 35 Jahre nach jener denkwürdigen journalistischen Be- schreibung des zwar mysteriösen, doch werbewirksamen "Dixi"-Umzugs am selben Ort. |
"Wartburg" im Wandel Über den "Wartburg" 311 (Dreizylinder- Zweitaktmotor, zuerst mit 900 cm³, dann mit 991 cm³, 27,2 kW (37 PS) bei 4200 U/min, Radstand 2450 mm, 125 km/h, 8,7 l/100 km, 6-V-Elektrik), das erste moderne DDR-Mittelklasse- Automobil, das bis 1966 als Limousine, Kabriolet, Coupé, Campingwagen, Sportwagen, Pick-up und Kombiwagen gebaut wurde, hier viele Worte zu ver- lieren, erübrigt sich. Allein die Tatsache, daß der 311 noch heute so manchem Besitzer gute Dienste leistet, ist Kom- mentar genug. Auch hier wieder wird in der weiteren Entwicklung des Werkes der Eisenacher Wahlspruch deutlich: Was gut ist, kann noch besser werden. Mit der Leistungs- steigerung des "Wartburg" 1000, wie der 311 später hieß, auf 29,4 kW (40 PS) und dann auf 33,1 kW (45 PS), der stän- digen technischen sowie Ausstattungs- verbesserung gingen bereits die Überle- gungen für ein neues Modell einher. Dieses neue Modell, das vor nunmehr rund zwei Jahrzehnten in die Serie ging, |
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Immer wieder erfolgreich: der "Wartburg" auf den großen Rallye-Pisten des Kontinents |
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der "Wartburg" 353, erschien interes- santerweise 1965 zuerst als "Wartburg" 312/1 mit neuem Fahrgestell, mit Schraubenfederung und 311er Karosse- rie. Seit seinem Erscheinen 1966 ständig weiterentwickelt und in zahlreichen De- tails verbessert, erfreut sich der 353er "Wartburg" als unkomplizierter, lei- stungsfähiger und außerordentlich fahr- sicherer Zweitakter mit der zeitlos mo- dernen, geräumigen Pontonkarosserie und der reparatur- wie wartungsfreund- lichen Bauart hierzulande und weit über unsere Landesgrenzen hinaus einer weitgespannten, ungebrochenen Be- liebtheit. Diese für die Eisenacher Automobil- bauer durchaus angenehme Tatsache verbindet sich jedoch zugleich mit ei- nem höchst mißlichen Umstand. Die schon eingangs geschilderte Lage des Werkes zwischen Hörsel und Bahn- damm, mitten in der Stadt, setzt den Bemühungen, dieser Beliebtheit auch mit entsprechendem Produktionsum- fang immer besser gerecht zu werden, ziemlich enge räumliche Grenzen. Ob- wohl Intensivierung und Rationalisie- rung - in jüngster Zeit vor allem auch mit Hilfe von Industrierobotern und Ver- kettungseinrichtungen aus dem lei- stungsfähigen eigenen Rationalisie- rungsmittelbau - im AWE schon lange Grundlage jeder Produktionssteigerung ist, können bei weitem nicht alle Käufer- wünsche erfüllt werden. Zu den wichtig- sten Investitionen der letzten Jahre ge- hörte darum 1979/80 der Neubau eines Pressenwerkes für Karosserieteile in Ei- senach-West. Mit dem bereits erwähnten Beschluß des Politbüros des ZK der SED und des DDR-Ministerrates kurz vor Vollendung des neunten Jahrzehnts Eisenacher Au- tomobilbaus wurden dem volkseigenen Automobilwerk Eisenach als Produzent eines begehrten hochwertigen Konsum- gutes neue Entwicklungsperspektiven er- öffnet. Noch vor Jahren kaum zu träumen gewagte Produktionsstückzahlen sind, wie weiter vorn bereits genannt, heute Realität. Die sozialistische Planwirt- schaft ermöglichte es, den Eisenacher Automobilbauern auf dem Weg zu hö- |
heren Stückzahlen neue Partner an die Seite zu stellen. So wurde der ehema- lige VEB Lufttechnische Anlagen Gotha, heute VEB Kraftfahrzeugwerk "Dr. Theodor Neubauer", zum Hersteller der kompletten Rahmenbaugruppe, die als fertiges Fahrwerk mit montiertem Trieb- satz nach Eisenach geliefert wird. Welch ein anderer Charakter der Part- nerschaft mit einem Gothaer Betrieb als im Jahr 1921! Auch die Eisenhüttenstädter Metallur- gen sind mit einer Produktionslinie für Kotflügel, die noch auf weitere Karosse- rieteile ausgedehnt wird, an der Eisen- acher Perspektive beteiligt. Und mit ih- nen viele weitere volkseigene Betriebe unseres Landes: Im Kali-Kombinat Süd- harz, Werk Sondershausen, werden z.B. Türen gefertigt, im VEB "Möve"-Werk in Mühlhausen die Sitze usw. Interessant ist übrigens in diesem Zu- sammenhang, wie unter sozialistischen Produktionsverhältnissen die Produk- tion eines hochwertigen technischen Konsumgutes, wie es das Automobil ja ist, auch solchen vom technologischen Strukturwandel berührten Industrie- zweigen wie der Metallurgie und dem Kali-Bergbau neue langfristige Perspekti- ven eröffnet und in diesen Bereichen interessante, anspruchsvolle Arbeits- plätze gesichert werden. Heute, in der Zeit des soliden Wachs- tums des Eisenacher Automobilwerks wie unseres Automobilbaus überhaupt, bereits die weitergesteckten Perspekti- ven des "Wartburg" näher umreißen zu wollen, wäre noch verfrüht. Doch das zur Leipziger Herbstmesse 1984 vorge- stellte 85er "Änderungspaket", wie die Eisenacher Fachleute sagen, läßt un- schwer erkennen: Der "Wartburg" von heute ist mit Si- cherheit noch längst nicht das letzte Ei- senacher Modell. Konstruktive Verände- rungen wie der nach vorn verlegte Alu- miniumkühler und der damit entfallende Dauerbetrieb des Kühlluftgebläses so- wie die andersgestaltete Frontpartie sind dafür - ähnlich wie das 1965 mit dem 312er Modell der Fall war - untrüg- liche Anzeichen. Wolfgang Schuenke |