PLUSPUNKTE Äußerst solider Bau, Kastenrahmen mit(mittragend) aufgesetzter Karosserie, dickes Karosserieblech Sehr gute Verarbeitung Ausreifung durch lange Bauzeit mit wenig Veränderungen Viertürige Karosserie mit reichlich Fußfreiheit Bequeme Sitze, Liegesitze serienmäßig Vorteile großer Räder: Gute Eigenschaften auf be- sonders schlechter Fahrbahn und im Winter beson- ders gutes Anfahren auf glatter Steigung trotz Frontantrieb (Frontantrieb = relativ geringe Vorderradbelastung) Kurbelfenster In hinteren Türen und zusätzliche Ausstell-Seitenfenster hinten Besonders kräftiges Ziehen des Motors in niedrigen Drehzahlen Geringe Motordrehzahlen im Verhältnis zur Geschwindigkeit und zur Bergfreudigkeit Sehr gutes und reichhaltiges Werkzeug Für Leistungsklasse und Ausstattung niedriger Preis Für Selbstpfleger gute Voraussetzungen, gute Zugänglichkeit, einfache Teile, Hilfe durch sym- pathisierende DKW-Werkstätten auch werkzeug- mäßig möglich MINUSPUNKTE Veraltete Karosserieform, Sichtbeeinträchtigung durch dicke Fensterpfosten Knapper Gepäckraum Ausstattungseinzelheiten im Stil veraltet (Fensterkurbeln, Griffe, Stoffe u. a.) Sehr unangenehmer Geruch im Wageninneren (verschwindet erst nach langer Betriebszeit Trübe Armaturengläser, Skalen bei Beleuchtung schlecht erkennbar Türgriffe nicht praktisch Schlösser unpräzise gefertigt (oder konstruktiv schlecht angelegt?) Zündungs- und Schaltungsschloß getrennt, Schaltungsschloß schwierig einzurasten Spiegelungen (Lenkrad und Armaturenbrett) in der Windschutzscheibe Lautes, auch nach außen als unkultiviert auffallen- des Motorgeräusch im Leerlauf; Zweitaktgeräusch in seiner ältesten, bei DKW längst überwundenen Form Motorgeräusch bei höheren Geschwindigkeiten im Klang angenehmer, jedoch unerfreulich laut Getriebeschaltung Rückschritt gegenüber früherer Wartburg-Ausführung, Rastungen weniger präzise, Schaltvorgang weniger leichtgängig Motor-Temperament wenig über VW1200 Bei vollem Ausfahren hoher Verbrauch Sehr harte Federung Beim Gaswegnehmen in der Kurve schroffer Über- gang von Untersteuern in Übersteuern (plötzliches Hinausdrängen des Hecks), stark gewöhnungsbe- dürftig, Unsicherheitsgefühl für Passagiere Reifen auf hohe Laufdauer gezüchtet, entsprechend verringerte Rutschfestigkeit Schlechte Bremsen: Starkes Nachlassen der Brems- wirkung bei Erhitzung (Fading) trotz großer Brems- fläche - offenbar Material unter internationalem Standard Umständlicher Tankvorgang: Mischungs- schmierung mit hierzulande ungewöhnlichem Mischungsverhältnis 1:33 1/3 In Westdeutschland nur 65 Vertragswerkstätten, davon nur wenige wirklich interessiert Starker Wertverlust bei Wiederverkauf |
Für den Preis, den der Wartburg in der DDR kostet, bekommt man bei uns einen Mercedes 220 SE. Und wer den Preis von 14700.- bis 16000.- DM (Ost) je nach ge- wünschter Ausführung zusammen- gebracht hat, kann seinen Wart- burg doch nicht gleich bekom- men. Die Wartezeiten betragen zwei Jahre und mehr. Dennoch wird aus der ostdeut- schen Personenwagenproduktion, die neben dem Wartburg noch den kleinen Trabant 600/601 um- faßt etwa ein Drittel exportiert. Die Preise in Exportländern rich- ten sich nach der Konkurrenz- lage. In Westdeutschland ist der Wartburg außerordentlich billig; die Standardausführung kostet 4650.- DM, die Luxusausführung 4960.- DM (Die Auto Union nahm für den AU 1000, dem der Wartburg technisch nahesteht, Preise ab 6000.- DM, mit vier Türen kostete der AU 1000 S 7050.- DM!) Aber trotz der niedrigen Preise wird der Wartburg bei uns kaum gekauft. Die genaue Verkaufs- stückzahl mochte man uns bei der Generalvertretung nicht sa- gen. Die Zulassungsziffer liegt jedenfalls unter der Grenze, von der an das Kraftfahrtbundesamt seine Typentabellen noch auf- schlüsselt, also unter 480 Wagen im Jahr. Opel macht z.B. doppelt so viel Kadett am Tag! Daß man den Wartburg bei uns nicht kaufen mag, kommt wohl nur in Einzelfällen von politischen Vorurteilen. Man mißtraut viel- mehr der Qualität (übrigens zu Unrecht) und vor allem ist der Wartburg äußerlich wie kon- |
struktiv und im Ausstattungsstil veraltet. Er ist im heutigen Wett- bewerb bei uns nicht mehr kon- kurrenzfähig, soweit nicht im Ein- zelfall besondere Erwägungen zum Kauf führen. Auch für Händ- ler und Werkstatt ist die Entschei- dung zur Wartburg-Vertretung schwer. Von einem Kundendienst- netz kann kaum gesprochen wer- den; nur 65 Vertragswerkstätten gibt es im Gebiet der Bundes- republik, und davon ist höchstens ein Drittel wirklich mit dem Her- zen bei der Sache. Zentrale ist die Generalvertretung Norwed- Bauer in Braunschweig. Ähnlich wie bei den Käufern steht hier eine Gefühlsentscheidung oben- an: die Firma ist alter Framo- Vertreter aus den Vorkriegsjah- ren und übernahm die Wartburg- Vertretung in Anknüpfung an diese alte Verbindung mit der ostdeutschen Automobilindustrie. Die meisten Händler hingegen vertreten die Marke nur mit mat- tem Interesse. Dieser Sachverhalt kann uns nicht veranlassen, am Wartburg acht- los vorbeizugehen. Er ist ein deut- scher Wagen aus einem alten deutschen Automobilwerk, er wird bei uns angeboten, also besprechen wir ihn. Ebenso ver- fehlt wie prinzipielle, politisch bedingte Feindseligkeit wäre eine von Gefühlsmomenten geleitete Verschonung vor unseren Beur- teilungsmaßstäben. FormEr ist auf seine altmodische Artein ansehnliches Auto, im Rah- men der Stilrichtung sauber ge- zeichnet. Störend für unsere |
Kein Mitteltunnel, keine Radkästen |
Viel Füßraum vor der Rücksitzbank |
Augen die dicken vorderen Fen- sterpfosten und die schmale Spurweite der großen Räder. Der Wartburg ist mit 4,30 m etwas länger als der VW 1500 und der Ford 12M, aber er wirkt größer, wobei vor allem auch mitspielt, daß er drei Seitenfen- ster hat. RaumDer Innenraum ist schmal, Ellen-bogenfreiheit vorn 126cm, hin- ten 128cm. Vergleich: VW 1200 119/123cm, VW 1500 136/140cm. Aber in der Länge wird viel ge- boten: ca. 170 cm von Armatu- renbrett bis Rücksitzlehne, dem Opel Rekord entsprechend. Dem- entsprechend guter Fußraum vor der Rücksitzbank Wünschens- wert etwas mehr Kniefreiheit hinten durch eingezogene rück- wärtige Verkleidungen der Vor- dersitzlehnen. Bemerkenswert reichlich ist die Kopffreiheit, die bei moderneren Karosserien stark vernachlässigt wird: vorn 97 mm, ein sehr gutes Maß, hinten 90 mm, 20 mm bes- ser als bei den meisten west- lichen Mittelklassewagen. GepäckDer Gepäckraum ist stark zer-klüftet, Ausnutzbarkeit für Kof- fer eingeschränkt. Nach Raum- inhalt kann man mit ca. 330 dm³ nutzbarem Raum rechnen, etwa drei Viertel des DKW Junior/F11/ F12. Reserverad unter hochklapp- barem hölzernen Gepäckraum- boden, neben dem Reserverad viel Raum für Werkzeug; Wagen- heber und Montiereisen in Hal- terungen. |
Ein- und AussteigenVorn sehr bequem, viel Abstandzwischen Türpfosten und Sitz, keine Schwierigkeiten auch für langbeinige Fahrer, hohe Tür. Hintere Türen erheblich schma- ler, Rücksitzlehnen ins Heck hin- eingeschoben, Ein- und Ausstei- gen unbequemer als bei mo- derneren Viertürern, aber beque- mer als bei Zweitürern. Zum Türöffnen Zugklinken, die flach am Wagen anliegen. Nicht gut durchdacht: Fingernägel ver- kratzen den Lack. Der Idee nach soll man die Enden der Klinken, die jenseits des Drehpunkts lie- gen, mit dem Daumen eindrük- ken, dann erst die Finger um Zugklinke legen; das Ende der Klinke ist für Daumendruck aus- gearbeitet. Leider gibt es leicht eine Schmarre am Daumennagel. Eine verfehlte Lösung. Türschloß nur in linker, Vorder- tür, Schloß braucht volle Dre- hung, Schlüssel sitzt nicht akku- rat und wir hatten auch Ärger mit dem Schloßzylinder. Wobei zu erwähnen ist, daß auch der Sitz des Zündschlüssels beim Ein- stecken nicht exakt ist. Im gan- zen drei Schlüssel: Zündschloß, Schaltungsschloß und Schlüssel für Tür, Gepäckraum und Tank- schloß. AusstattungPolsterstoffe strapazierfähig, aberschmutzempfindlich, Gestaltung der Seitenverkleidungen, der Tür- innengriffe und der Fensterkur- beln im Stil altmodisch, polierte |
Holzleisten auf den Türrändern durch offene Schraubenköpfe mehr handwerklich als luxuriös wirkend. Als Dachverkleidung sind wir heute perforiertes Kunst- leder gewohnt; den Wartburg gibt es nur mit Stoff. Das Armaturenbrett ist gut ge- zeichnet, aber das nackte Blech wirkt unmodern, die Kunststoff- scheiben der Anzeigeinstrumente sind gelblich trübe, ungeschickte Zifferngestaltung, schlechte Sicht- barkeit bei Nacht. Die Tasten- leiste unter der Armaturenbrett- mitte (Licht usw.) provoziert Ver- wechslungen der Tasten, rechts ist der Zigarettenanzünder wie eine Taste in die Reihe einge- ordnet, statt daß man durch Re- duzierung der Tastenzahl und Trennung von Tastengruppen das Auffinden erleichtert. Übliche Anzeigeinstrumente und Bedie- nungsorgane, keine erwähnens- werte Besonderheit bis auf die ganz unmöglich tief unten rechts unter dem Armaturenbrett lie- gende Starthilfebetätigung. Ein besonderer Hebel neben der Lenksäule: der Getriebefreilauf. (Bei eingeschaltetem Freilauf trennt sich die Verbindung zwi- schen Getriebe und Hinter- rädern, wenn der Wagen schnel- ler rollt, als es der Motordreh- zahl entspricht - altes DKW- Rezept beute wieder beim F 102.) Blinkerfingerhebel und Getriebe- schalthebel bei Lenksäule gut angelegt, doppelte Sonnenblen- den primitiv verschraubt. Hat man sich eingewöhnt, so ist der Gesamteindruck besser als diese Aufzählung vermuten läßt. Der Wartburg ist recht wohnlich. |
Die Sitze sind sehr gut gepol- stert, bequeme Sitzposition. Die Vordersitzlehnen einstellbar bis Liegesitzposition, seit kur- zem ein verbesserter Mechanis- mus. Für Rücksitzpassagiere zwei Aschenbecher in den Verkleidun- gen der Vordersitzlehnen, Arm- stützen (zugleich Griffe zum Zu- ziehen) in allen vier Türen, Hand- schuhkasten mit Deckel, Klein- zeugablage vor dem Rückfen- ster, Taschen in allen vier Tü- ren, Motorraum- und Gepäck- raumbeleuchtung - es steckt schon viel Liebe in der Ausge- staltung, wenngleich Einzelheiten nicht einfallsreich sind. BedienungGute Fahrersitzposition, aberBeeinträchtigung der Sicht durch die Fensterpfosten, die kleine Windschutzscheibe und die klei- nen Scheibenwischerfelder. Hin- tere Karosseriebegrenzung nicht im Blick des Fahrers. Vorn sehr viel Fußraum ohne Radkästen und Mitteltunnel. Gut angelegte Fußhebel. Hohes, steil- stehendes Lenkrad eigenartig geformt, mit (frei nach Lichten- berg: wachender Gelehrsamkeit und schlafendem Fahrerver- stand erdacht: Verdickte Griff- partien, ideal fürs Geradeaus- fahren, eingerückter unterer Bo- gen ergibt griffsicheren Halt. Aber beim Drehen des Lenk- rades wird alles zum Nachteil, die unregelmäßige Form stört. Schalthebel gut im Griff, die Funktion jedoch eine Enttäu- schung: vor ein paar Jahren be- wunderten wir am Wartburg die |
Verfehlte Lenkradform |
Motorraum gut aufgeräumt |
Wartburg Camping |
Gepäckraum zerklüftet |
Wartburg Coupé |
leichtgängige und exakte Schal- tung mit kurzen Schaltwegen. Jetzt ist die Schaltung aus irgend- welchen Gründen nicht mehr so leichtgängig, auch unsynchroni- sierter 1. Gang stört mehr als früher. Schaltungserleichterung durch eingeschalteten Freilauf: dann läuft der Motor bei frei rollendem Wagen im Leerlauf, so daß man jeden gewünschten Gang ohne weiteres einschalten kann, im Effekt eine Gangvor- wählung. Der Zweitakter bremst ohnehin kaum mit, und der Frei- lauf erspart auch den stoßenden Lauf des mitgezogenen Zweitak- ters nach Gaswegnehmen in nie- drigen Drehzahlen. (Bei hohen Geschwindigkeiten und auf Glätte schaltet man den Freilauf besser aus.) Ein Bedienungs-Minuspunkt ist der sehr große Wendekreis des Wartburg nach links. Fahren Im AlltagSicherer Kaltstart auch bei tiefunterkühltem Motor, typisch für den Zweitakter. Sehr häßlicher, lauter und stoßiger Leerlauf mit dem unregelmäßigen Zweitakt- Auspuffgeräusch. Das ist bei DKW ungleich besser gedämpft. Beim Beschleunigen zieht der Motor schön vibrationsfrei, wenn- gleich in den laufeigenschaften nicht DKW-Niveau erreicht. Motorabstimmung alter Art: auf- fallend guter Durchzug schon bei sehr niedrigen Drehzahlen, sehr elastisch am Berg und bei hoher Belastung, auf Kosten der Leistung in hohen Drehzahl- |
bereichen; siehe Seite 17 oben "Beschleunigung und Spitze". Der Motorcharakter paßt in ein ruhi- ges Verkehrsmilieu und zu einem ruhigen Fahrer gut, aber der AU 1000 S zeigt, wie ein solcher Mo- tor auf unsere Anforderungen abgestimmt werden müßte. Im Allroundverkehr mit vorwie- gend Kurzstrecke wirkt der Wart- burg auch durch sein Gewicht, die eingeschränkte Sicht und den großen Wendekreis recht schwerfällig; man muß ihn ge- wöhnt sein. Die typische Nei- gung des Frontantriebs zum Durchrutschen der Vorderräder beim Anfahren an glatter Stei- gung fällt beim Wartburg be- sonders auf, trotz großer Räder; wahrscheinlich liegt es an den Reifen, die mehr auf lange Le- bensdauer als auf Rutschfestig- keit gezüchtet sind. Fahren: FernstreckeZu längeren Fahrten mit ge-mäßigten Geschwindigkeiten pas- sen die Eigenschaften des Wart- burg am besten. Der Motor schnurrt bei ca. 80-90 km/h mit einer sehr zivilen Drehzahl im sanften Zweitaktlauf, er erfor- dert durch den guten Durchzug von unten heraus nicht viel Schal- ten, vom Lenkungscharakter bis zur Lenkradform paßt alles für die Fernstrecke am besten. Schnell ist er ohnehin nicht, und bei scharfer Fahrweise steigt der Verbrauch steil. Für die Ansprüche ruhiger Fah- rer reichen die Überhol- und Bergkraftreserven vollauf. Der Wartburg ist kein Aschenbrödel |
der Landstraße, wird allerdings leicht als solches betrachtet und auf Biegen und Brechen über- holt. Wen das ärgert, der kann mit dem Wartburg nicht glück- lich werden; der Wagen ist für ein ganz anderes Verkehrsmilieu gemacht als das unsrige. "Ein typisches Vorkriegsauto", dieser Eindruck bleibt. Die Fahreigenschaften kann man als ruhiger Fahrer gut nennen, aber für höhere Ansprüche sind sie weit hinter dem zurück, was DKW mit dem AU 1000 erreicht hatte. Man spürt, daß der Wart- burg weit ab von Konkurrenz- vergleichen gebaut wird. Alle Verfeinerungen, die gerade bei den Fahreigenschaften in den letzten Jahren erzielt worden sind, sind an ihm spurlos vor- übergegangen. Geht man - wie es empfehlens- wert ist - mit Gas in die Kurve, so will er mit etwas Kraft im Lenkrad hineingezogen werden; dies "Untersteuern" ist für die mei- sten Frontantriebswagen typisch und normal. Aber wenn man in der Kurve Gas wegnimmt, so schlägt dies Untersteuern äußerst schroff in ein Übersteuern; das Heck drängt aus der Kurve, der Wagen lenkt ohne Lenkradzug in einen engeren Kurvenradius hinein. Der Fahrer muß sich stark eingewöhnen. Fahrbahn- stöße kommen ins Lenkrad durch, kurze Fahrbahnwellen be- einträchtigen das Lenkgefühl. Wer Fortschritte im Fahrwerks- bau kennenlernen will, muß ein- mal Wartburg, AU 1000 und DKW F 102 hintereinander fah- ren; es ist eine klare Stufung |
durch die Entwicklungsepochen. Bis ca. 1955 konnte man den Wartburg noch anders beurtei- len als jetzt. Aber das ist fast 10 Jahre her. FederungDer Wartburg hat mit Abstanddie härteste Federung, die man in Europa in einen Personen- wagen einbaut. 14 Federblätter zählten wir im vorderen Blatt- federpaket. Früher waren es 11 dickere Federblätter, aber von der Verfeinerung der Federung ist kaum etwas zu spüren. Bei uns arbeitet man mit Kunststoff- zwischenlagen und möglichst wenig Federblättern. Hier ist der Wartburg hoffnungslos veraltet. Der Komforteindruck auf nicht allzu schlechten Straßen ist aller- dings besser als man erwarten könnte; gute Sitze machen fürs Komfortgefühl viel aus. Man ist im Wartburg geneigt, Gas weg- zunehmen, wo man mit besser gefederten Autos mit voller Ge- schwindigkeit durchfährt. BremsenTrommelbremsen mit großerBremsfläche, vorn Duplex-Brems- anordnung (jede Bremsbacke für sich angehoben, Verstärkungs- effekt). Die Bremsen werden in Tests meist als gut beurteilt, aber wir sind nicht zufrieden: zu starkes Nachlassen der Brems- wirkung beim Erhitzung (Fading). Die Bremse ist hinter den bei uns stark gestiegenen Forderun- gen zurückgeblieben. |
PREISE (unverbindliche Richtpreise):
BETRIEBSKOSTEN (ohne Kasko und Garage, mit Wertverlust, Grundkosten und laufenden Kosten)
(in Klammern mit) Wertverlust ca.: bei 10000 Jahreskilometern 144.50 DM (211.- DM) bei 15000 Jahreskilometern 192.50 DM (259.- DM) bei 20000 Jahreskilometern 240.50 DM (307.- DM) bei 30000 Jahreskilometern 336.-- DM (499.- DM) bei 40000 Jahreskilometern 432.-- DM (499.- DM) Die Betriebskosten des Wartburg sind schwer zu kalku- lieren. Je nach individueller Fahrweise und Fahrbetrieb können sich größere Differenzen bei den laufenden Un- kosten ergeben als bei anderen Fahrzeugen. Der Kraft- stoffverbrauch kann bis zu drei Liter differieren und wirkt sich dabei automatisch in einem höheren Kosten- anteil des Öls aus. Der theoretische Wertverlust ist eben- falls höher als der übliche Durchschnitt, kann jedoch beim Verkauf an Liebhaber herabgemindert werden. |
TECHNISCHE DATEN MOTOR Dreizylinder-Zweitakt-Reihenmotor Hubraum 991 ccm Zylinderbohrung 73,5 mm Kolbenhub 78 mm Verdichtung 7,3-7,5 Leistung 45 PS bei 4200 U/min Höchstes Drehmoment 9,5 mkg bei 2200 U/min Mittlere Kolbengeschwindigkeit bei Nenndrehzahl 10,92 m/sec bei 100 km/h (3900 U/min) 10,26 m/sec Kurbelwelle: vierfach gelagert (Kugellager) Kühlung: Wasser (Ca. 8 Liter einschließlich Wärme- tauscher), Wasserumlauf durch Pumpe, Ventilator, Thermostat, Kühlerjalousie, Fernthermometer, Anzeige am Armaturenbrett Schmierung: Mischungsschmierung 1 :33,5 (1 Liter Öl auf 33,5 Liter Kraftstoff) Vergaser: 1 Flachstromvergaser H 362-20 BVF Luftfilter: Naßluftfilter Kraftstoffzufuhr: pneumatische Membranpumpe (Antrieb durch Druckwechsel im Kurbelgehäuse) Tank: ca. 40 Liter, im Heck, Benzinuhr am Armaturenbrett Batterie 6 Volt, 84 Ah, Lichtmaschine 220 Watt KRAFTÜBERTRAGUNG Kupplung: trockene Einscheibenkupplung Getriebe: Vierganggetriebe (2,25 Liter Ölinhalt, II. bis IV. Gang synchronisiert, mit sperrbarem Freilauf, Schalthebel an Lenksäule, Frontantrieb Untersetzungen im Getriebe: 3,174/2,133/1,368/0,956/R.4,44 Achsantrieb: Standard 4,857, Kombi 5,67
|
FAHRWERK Karosserie: Kastenprofilrahmen mit 4 Querträgern, Auf- bau auf Gummi-Zwischenlagen, 4 Türen Radführung vorn: Blattfederpaket quer oben und Quer- lenker unten, Antriebs-Halbachsen, Teleskopstoß- dämpfer Radführung hinten: Starrachse an Längsschwinghebeln mit Blattfederpaket quer oben, Teleskopstoßdämpfer Lenkung: Zahnstangenlenkung mit geteilter Spurstange, ca. 2,6 Lenkradumdrehungen von Anschlag zu Anschlag Reifen: Limousine 5.90-15, Kombi 6.40-15 Fußbremse: hydraulisch Trommelbremsen, vorn Duplex Gesamtbremsfläche 920 cm² Handbremse: mechanisch auf die Hinterräder MASSE Radstand: 2450 mm Spurweite vorn/hinten: 1190/1260 mm Gesamtlänge/-breite/-höhe: 4300/1570/1450 mm für Limousine (bei anderen Modellen geringe Abweichungen) Bodenfreiheit: 190 mm (belastet) Innenraummaße: siehe Schemazeichnung Wendekreis links/rechts: 12,6/11,6 m GEWICHTE Limousine Coupe Camping Kombi Lieferwagen Wagengewicht vollgetankt kg 920 955 980 1050 900 Zulässiges Gesamtgewicht kg 1300 1325 1390 1450 1500 Zulässige Belastung demnach: kg 380 370 410 400 600 entspricht z. B. bei der Limousine 4 Personen (je 75 kg) +80kg Gepäck Leistungsgewicht (kg pro PS) ca. vollgetankt unbelastet 20,4 21,2 21,8 23,3 20,0 voll belastet 28,8 |
GeräuscheTrotz des Schüttelns durch dieharte Federung ist die Karos- serie klapperfrei, das solide Blech ist unerschütterlich. Die Türen schließen exakt, wenn auch nicht leise. Das Motorgeräusch im Leerlauf ist unkultiviert, zum Wageninnern hin wie nach außen. Das stört und beeinträchtigt auch die Besitzfreude. Mit dem ruhi- gen Leerlauf eines Viertakt-Vier- zylinders würde der Charakter des Wartburg bei unbeteiligten Betrachtern ganz anders einge- schätzt. Das Motorgeräusch beim Fahren ist im Wagen verhältnis- mäßig stark hörbar, aber im Klang erträglich. VerbrauchDer Verbrauch des Zweitaktersist stark von der Fahrweise ab- hängig. Nimmt man das Gas stets so weit zurück, wie es der Wagen für die gewünschte Geschwindigkeit gerade noch braucht, so liegen die Verbräuche beim Wartburg unter 9,5 Liter, vor allem bei Ausnutzung des Freilaufes. Mit einem Jahres- mittel unter ca. 10,5 bis 12,0 Liter kann man aber nicht rechnen. Bei Verwendung von Zweitakt- ölen ist das Mischungsproblem nur eine Sache des Rechnens mit dem ungewöhnlichen Mischungs- verhältnis 1 :33 1/3, z.B.0,75 Liter Öl auf 25 Liter Kraftstoff, aber man kann nicht ganz volltanken, wenn es nicht gerade mit den Doseninhalten hinkommt. 1 :40 wie bei den älteren DKW ver- trägt er bei unseren Ölquali- |
täten auch einwandfrei. Bei offe- nem Öl, das qualitativ voll aus- reicht, muß man unwillige Tank- warte zum Mischen in der Misch- kanne veranlassen. Desolite K als Zusatz zum offenen Öl ist wegen der Rückstandsbildung des Zweitakters im Kurzstrecken- verkehr sehr zu empfehlen. Heizung/LüftungDie Heizung ist gut, sie kühltaber schnell aus, wenn man langsam fährt, vor allem mit Freilauf; das ist ebenso typisch für den AU 1000. Die Lüftung im Wartburg ist sehr gut; Fußraum- belüftung, Kurbelfenster in allen vier Türen und ausstellbare hin- tere Seitenscheiben. VerarbeitungDie Verarbeitung ist untadelig,man spürt die langjährige Ein- arbeitung, und es stecken wahr- scheinlich für unsere Verhältnisse auch viel Arbeitsstunden im Wagen. Auch nebensächliche Einzelheiten sind gut verarbei- tet; optisch stören eher anlage- mäßige Primitivitäten, etwa die groben Schrauben an den Son- nenblenden und dergleichen. Lackierung und Verchromung sind untadelig, sehr im Gegen- satz zu den Eindrücken der Bau- jahre bis ca. 1960. Lebensdauer-ErwartungBeim Motor ist eine Voraussageschwer. Manche Fahrer haben viel Ärger, manche überhaupt keinen, und der Ärger betraf |
meist ältere Ausführungen. Zur Lebensdauer der Kurbelwellen- lager kann man nach 3=6-Er- fahrungen mißtrauisch sein, aber der Wartburg ist anscheinend unempfindlicher als die älteren DKW. Seinem ganzen Charakter nach und auch im Material ist es ein sehr gesunder Motor, und Reparaturen sind bei der ein- fachen Bauart nicht aufwendig. Die Lebensdauer von Fahrwerks- lagern usw. wird davon abhän- gen, wie man die reichlichen Wartungsempfehlungen erfüllt. Ein gut gepflegter Wartburg ist durch seinen soliden Bau und die saubere Verarbeitung sehr langlebig. Nachteilige Erfahrun- gen mit älteren Modellen sollten in dieser Beurteilung nicht irre- machen. Kabelbrüche etc. sind längst überwundene Krankheiten. GeruchDer typische Zweitaktgeruch imSog hinter dem Wagen scheint uns beim Wartburg nicht ganz dem typischen DKW-Geruch zu entsprechen, aber man riecht jedenfalls, wenn ein Wartburg vor einem herfährt. Nicht zu ver- wechseln mit dem Geruchspro- blem ist das der blauen Wolke, die entsteht, wenn ein Wagen längere Zeit im Kurzstreckenver- kehr gefahren wurde und dann mit gut durchgeheiztem Motor Verbrennungsrückstände weg- brennt. In diesen Eigenschaften entspricht der Wartburg dem DKW vor Einführung der Frisch- ölautomatik. Eine Wartburg-Besonderheit ist hingegen der Geruch im Innen- |
raum des neuen Wagens. Er muß von bestimmten Kunststoffen oder Klebemitteln herrühren, fällt zunächst nur nebenbei auf, kann aber auf längeren Fahrten außerordentlich belästigen und bei empfindlichen Insassen Übel- keit hervorrufen, schon beim Ge- danken an die nächste Fahrt mit dem Wartburg. Dieser Geruch verschwindet nur langsam und nie ganz. Wir nahmen ihn in einem mehrere Jahre alten Wa- gen noch wahr, wenn auch schwach. Das kann man einem westlichen Autokäufer nicht zu- muten. WartungDer Wartburg gehört wie derAU 1000, der VW 1200 oder der Glas Isar T 600/700 wartungs- mäßig zu einer älteren, fast überwundenen Autogeneration. Das heißt, daß noch viele Schmiernippel häufig zu versor- gen sind (z. B. Gelenkwellen der Vorderräder "bei längeren Fahr- ten mit Höchstgeschwindigkeit" alle 1500 km schmieren). Für die meisten übrigen Pflegearbeiten sind Intervalle von 5000 km vor- gesehen. Die Schmierarbeiten kann man aber ohne weiteres selbst erledigen, wenn man eini- ges Werkzeug besitzt (wir sehen als wichtigstes Zubehör eine Wanner-Handhebel-Fettpresse für ca. 45.- DM an). Auch die meisten Inspektionsarbeiten kann man selbst übernehmen. Das Werk trägt dem Fehlen eines guten Kundendienstnetzes Rechnung und fügt der Betriebs- |
BESCHLEUNIGUNG
|
km/h 0-40 0-50 0-60 0-70 0-80 0-90 0-100 0-110 0-120 0-130 Spitze ca. km/h |
Wart- burg 4,5 6,6 9,8 13,9 18,3 24,5 33,0 48,5 ca. 90 -- 125 |
AU 1000 S 4,9 6,8 9,0 11,8 15,0 19,0 24,0 31,4 41,2 ca. 65 130 |
VW 1200 34 PS 5,5 7,5 10,8 14,2 19,0 25,0 36,0 ca. 60 -- -- 115 |
Ford 12 m 1,2 L. 4,4 6,5 10,0 12,2 16,0 20,5 30,0 37,0 53,0 -- 125 |
Ford 12 M 1,5 L. 4,2 6,0 8,4 10,8 13,5 16,0 20,0 26,7 39,0 ca. 70 130 |
Opel Kadett 40 PS 4,5 6,0 8,5 10,5 14,5 18,5 25,5 42,0 ca. 90 -- 120 |
anleitung ein ausführliches War- tungs- und Schmierkapitel an, ebenso ein Kapitel über Kon- trollen, die der Besitzer selbst ausführen kann. Dadurch läßt sich die Instandhaltung verein- fachen. Gegenüber der Ausfüh- rung von 1959 ist die Betriebs- anleitung von 1964 erheblich dünner geworden. Zum Nach- teil der Wartburg-Käufer, denn das Kundendienstnetz ist nicht in gleichem Maße dichter oder qualitätsmäßig besser gewor- den. Der Selbstpfleger kann die Unterhaltung jedoch verbilligen, wenn er für die Inspektionen ge- zielte Aufträge gibt und die übrigen Kontrollen und Pflege- arbeiten selber erledigt. Die beiden ersten Inspektionen sind kostenlos. Für die 7500km- Inspektion muß man 23.-DM bezahlen, für die Inspektionen bei 10000 und 15000 km je 30.- DM, und für die 20000 km-In- spektion wieder 23.- DM. Jen- seits von 25000 km richten sich die Kosten nach dem Arbeits- aufwand. Ersatzteile, Austausch-
Das Kundendienstnetz ist sehr |
lichkeit: Werkzeug anschaffen und den Wagen selbst instand- halten. Die Ersatzteilbeschaffung ist ge- sichert, aber man kann nicht mit Ersatzteilvorräten bei Händlern rechnen. Das Zentralersatzteil- lager des Braunschweiger Im- porteurs liefert alle benötigten Teile, kleinere Ersatzteillager be- stehen bei einigen Händlern. Aber auch bei schnellem Ver- sand ergeben sich Wartezeiten, die es bei einer normalen Kun- dendienstversorgung nicht gibt. Motor und Nebenaggregate sind gut zugänglich. DKW-Kenner kommen mit Arbeiten gut zu- recht. Der Aus- und Einbau des Motors liegt mit 40.-DM im Rahmen des üblichen. Für Aus- und Einbau des Austausch-Teil- motors muß man 60.-DM be- zahlen. Der Austausch-Teilmotor kostet 517.-DM, das Austausch- getriebe 528.-DM, der Getriebe- einbau 105.-DM. Das Belegen der Bremsen an allen vier Rädern kommt auf 90.-DM. Die Preise für Blechteile (un- lackiert, grundiert, ohne Be- schläge) liegen über VW-Niveau, aber unter Fiat und Ford: vor- dere Tür 127.50 DM, hintere Tür 132.50 DM, Kotflügel vorn 60.10 DM, Kotflügel hinten 33.05 DM, Motorhaube 82.70 DM, Heck- klappe 111.60 DM. Die Stoßstan- gen bestehen aus drei Teilen, so daß man einzelne Stücke aus- wechseln kann. Die Vordere Stoß- ecke kostet 23.10 DM, die hin- tere 25.85 DM, das Mittelteil vorn 12.20 DM, der Bügel für die hin- teren Stoßecken 14.75 DM. Stoß- dämpfer: 27.75 DM. |
mot GESAMTURTEILDer Wartburg zeigt, daß es nicht genügt, wenn ein Auto außer- ordentlich gut gebaut und für Ausstattung und Format sehr billig ist. Man muß sich sein Auto nicht unbedingt so modern wie möglich wünschen, aber der Wartburg entspricht doch in vielen technischen Punkten nicht dem, was nach dem Stand der Technik heute von einem konkurrenzfähigen Automobil zu fordern ist. Als reine Ver- nunftentscheidung kann man sich kaum zum Wartburg entschließen. Gefühlsgründe können allerdings im Einzelfall durchaus vertretbar zu ihm führen. Etwa besondere Sympathie mit den Baurezepten des alten DKW 3=6, dem der Wartburg sehr nahesteht; sie stammen vom gleichen DKW-Typ ab, den die Auto Union für das Jahr 1940 vorbereitet hatte. Man kann auch seine Gründe haben, einen Wart- burg zu nehmen, wenn man z.B mit einem Wartburg-Händler gut befreundet ist, keine höheren Ansprüche an sein Auto stellt und vielleicht einen gewissen Reiz des Wartburg für den Selbstpfleger einrechnet. Aber das sind Gründe, die schon jenseits dessen liegen, was man auf dem geraden Wege zum vernünftigen Autokauf er- wägen kann. Zumal die Kundendienstprobleme und der stark ab- sinkende Wiederverkaufswert eingerechnet werden müssen. Gegen den Kauf eines Wartburg spricht so viel, daß wir ihn z.B. bei Ver- gleichszusammenstellungen der Preis und Leistungsklasse überhaupt nicht hineinnehmen; er wäre von vornherein ein nicht empfehlens- wertes Schlußlicht der Tabelle. Diese Feststellungen sind uns schmerzlich, denn wir wissen, daß der Wartburg das beste ist, was unter den gegebenen Verhältnissen vom Herstellerwerk geboten werden kann. Die Planung eines völlig neuen Wagens oder auch nur tiefgreifender Änderungen ist völlig unmöglich; eine neue Karosserie - ein Prototyp wurde mal im "Stern" gezeigt - ist das, was er am allerwenigsten braucht. Man arbeitet an der Produktionsausweitung, um die Lieferzeiten in der DDR ab- zubauen. Aber abgesehen von Planungsproblemen ist das Werk, das mitten in Eisenach liegt, auch räumlich eingeklemmt. Die Schaffung eines modernen und im Westen konkurrenzfähigen Personenwagens würde eine grundlegende Planentscheidung vor- aussetzen, für die bei den Verantwortlichen die psychologischen Voraussetzungen fehlen; die ideologischen Tendenzen setzen den Privatwagen ziemlich weit unten in die Dringlichkeitsliste und die sowjetische Tendenz geht eher zur Förderung des Mietwagens. Tester (Text, Fotos, Meßdaten): Dr. Paul Simsa Zeichnungen: J. F. Drkosch Wartung, Daten: R.Traub Betriebskosten: K. H. Freund 2 Fotos Seite 15: Kurt Wörner |