Eisenacher Prototypen


Wenn jemand Informationen über den Verbleib oder die Entstehung eines der abgebildeten Fahrzeuge hat, oder weiteres Bildmaterial besitzt bitte eine e-mail an mich.
 
Leipziger Messe 1949

Verschlußsachen

Von rührigen Technikern entwickelt, von den Politbürokraten verworfen:
Prototypen und Einzelstücke aus Eisenach


Eisenach, Geburtsstätte der
Dixi- und BMW-Modelle, brachte
auch während der DDR-Zeit eine
Reihe hochinteressanter Entwick-
lungen heraus. Allerdings wurden
sie als Verschlußsachen zurück-
gehalten und in der Öffentlichkeit
kaum bekannt

Besonders die Entwicklungen der letzten vier
Jahrzehnte bedeckte ein staatlich verordneter
Mantel des Schweigens. Der "Verein Automo-
bilbaumuseum Eisenach e.V." hat sich auf die
Fahnen geschrieben, derartige Zeitzeugnisse
vor dem Vergessen zu bewahren. Es handelte
sich um Konstruktionspläne und Prototypen,
die in Zeichnungsschränken, Archiven oder
hinter Stahltoren verschwanden, weil sie nicht
ins Konzept der DDR-Wirtschaftsbosse paß-
ten. Die Einzelstücke aus den Fünfzigern und
von Anfang der sechziger Jahre existieren nur
noch in Form von Zeichnungen und Fotos,
während eine Reihe jüngerer Prototypen zum
Fundus des Museumsvereins gehört.
Immerhin hatte das Eisenacher BMW-Werk
gegenüber anderen deutschen Automobilfir-
men in der Nachkriegszeit am schnellsten wie-
der Autos auf die Räder gestellt (und damit so-
gar BMW in München in Zugzwang gebracht).
Ab September 1946 hatte die sowjetische Ak-
tiengesellschaft Awtowelo im Eisenacher Werk
das Sagen. Dieser Gesellschaft waren nach dem
Zweiten Weltkrieg die Filetstücke der ostdeut-
schen Industrie zugefallen. Dazu gehörten die
Elite Diamantwerke Siegmar-Schönau bei
Chemnitz, das Simson-Werk und die Feinmeß-
zeugfabrik Keilpart in Suhl, das Rheinmetall-
werk in Sömmerda, die Leipziger Kugellager-
fabrik Böhlitz-Ehrenberg, die Uhren- und Ma-
schinenfabrik Ruhla und das Fichtel-&-Sachs-
Werk in Reichenbach im Vogtland.
Nachdem im nunmehrigen "SAG Awtowelo-
Werk BMW-Eisenach" unter Führung einer
russisch-deutschen Direktion die Trümmer-
massen beseitigt waren, ging es an den Neubau
einer 200 Meter langen Endmontagehalle. Die
Sowjets sorgten nicht nur dafür, daß Maschi-
BMW 340

1949 auf der Leipziger Messe präsentiert wurden der
BMW 340 sowie der nie produzierte Sportwagen 340-S
(Bild oben). Darauf baute der 342 auf.
BMW 342

Nochmals der BMW 342, hier mit einer Front ähnlich der
des BMW 340. Grund für den neuen Grill war das Verbot,
das (alte) BMW-Logo zu führen.

 
Bericht aus Oldtimer Markt 11/1994





nen und Anlagen von den ausgelagerten Pro
-duktionsstätten - vor allem den Thüringer
Kalischächten - zurück ins Eisenacher Werk
kamen, sondern sicherten auch eine kontinu-
ierliche Materialversorgung.
Nach der Entwicklung der schweren Reiseli-
mousine BMW 340 (sowie des Sportcabriolets
340-S) auf der Basis des Vorkriegsbaumusters
326 beschäftigten sich die Thüringer noch vor
der 340-Serieneinführung im Oktober 1949 mit
echten Neukonstruktionen. Erstmals vorge-
stellt wurden die taufrischen Typen 342 und
343 auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1951.
Vom BMW 340 wurde für beide Neuentwick-
lungen der 55-PS-Zweilitersechszylinder samt
den beiden Fallstromvergasern unverändert
übernommen. Er sollte später durch einen be-
reits entwickelten und in Erprobung befindli-
chen, ebenfalls sechszylindrigen 65-PS-Motor
ersetzt werden. Vom BMW 340 kamen außer-
dem Teile des Fahrwerks, das allerdings we-
sentliche Verbesserungen erfuhr. So erhielt die
bis dato verwendete vordere Schwingachse mit
unterer Querblattfeder eine Drehstabfederung
in Verbindung mit doppelt wirkenden Tele-
skopstoßdämpfern. Beim BMW 342 behielt
man die hinteren Torsionsfederstäbe bei und
ersetzte die bis dato verwendeten Hebelstoß-
dämpfer des 340 durch Teleskopstoßdämpfer.
Diese erhielt auch der BMW 343, dessen eben-
falls starre Hinterachse - ein Novum im Ei-
senacher Automobilbau - an Schraubenfe-
dern aufgehängt wurde.
Neuentwicklungen waren die selbsttragenden
Karosserien beider Baumuster, obwohl hier
Bauteile der stabilen Bodengruppe des Vorgän-
gers verwendet wurden. Beide Fahrzeuge prä-
sentierten sich in der damals modernen Pon-
tonform mit stark vergrößertem Innenraum
und "windschlüpfriger Linienführung" - ob-
gleich sie keinen Windkanal gesehen hatten.
Gegenüber dem BMW 340 waren die Karosse-
rien der Neuen um 10 cm breiter, 20 cm länger
und um 30 cm niedriger, woraus schon rein op-
tisch im direkten Vergleich zum Vorgängertyp
ihr modernes und rassigeres Aussehen resul-
tierte. Trotz der in den Hauptmaßen größeren
Karosserien konnten die Fahrzeuggewichte der
beiden Neuentwicklungen gegenüber dem
BMW 340 um 100 Kilo verringert werden. Das
ergab schon bei der Ausstattung mit 55-PS-
Motoren günstigere Leistungsgewichte und da-
mit bessere Fahrleistungen gegenüber dem
Vormodell.
Großen Aufwand betrieb man bei der Ausstat-
tung der Fahrzeuginnenräume, die beide so ge-
räumig waren, daß sowohl auf der durchge-
henden vorderen Sitzbank als auch auf der hin-
teren je drei erwachsene Personen bequem
Platz fanden. Von Haus aus installiert waren
neue Warmwasserheizungen mit entsprechen-
der Frischluftzuführung und einbezogener Ent-
frostung der Windschutzscheiben. Neugestalte-
te, moderne Armaturentafeln mit eingebauten
Autosupern in Verbindung mit neuen Lenkrä-
dern und den dort in Griffnähe angeordneten
Hebeln für Lenkradschaltung und Signalge-
BMW 343


Sehr amerikanisch
schaute der 343 drein:
Man fühlt sich an
Studebaker-Typen jener
Zeit erinnert.


BMW 343

Die Heckpartie des BMW 343 erschien gestreckt und elegant. Immerhin war
der Prototyp 20 Zentimeter länger und 30 Zentimeter niedriger als der se-
rienmäßige 340.

Allradkübelwagen 325/3

Geheime Entwicklung für die Kaser-
nierte Volkspolizei 1950/51:
Allradkübelwagen 325/3.

Bus

Die Stahlblech-Außenhaut dieses
Busses stützte sich auf ein Hart-
holzgerippe.


Fleischer Kleinbus

Der vom Geraer Karosseriewerk Fleischer realisierte Kleinbus mit Alu-
Aufbau und Stahlrohrgerüst. Er verfügte über acht feste Sitzplätze und
drei Notsitze.

 
Bericht aus Oldtimer Markt 11/1994


Automobil


Wartburg 311 bellevue

Die ungewöhnlichste Wartburg-311-Ausführung war der Bellevue.
Doch es blieb bei den auf dem Brüsseler Salon gezeigten Prototypen.
Diesem Wagen folgte die 311 Camping-Limousine.

Hans Fleischer mit seinen Modellen

Verantwortlich für die Gestaltung fast aller Eisenacher Nachkriegskarossen
war der 1986 verstorbene Hans Fleischer. Zu seinem Leidwesen wurden die
meisten Entwürfe nie bis zur Serienreife gebracht.

Sport Coupé HS 313-2

Das Wartburg-Sport-Coupé HS 313-2 basierte auf dem P100. Genau wie bei
der Limousine befand sich der Dreizylinderzweitakter vor der Hinterachse.
bung vervollständigten die Ausstattung. Die
geräumigen Kofferräume mit von den Fahrer-
sitzen aus zu entsichernden, breiten, bis zur
Stoßstange reichenden Heckklappen waren be-
quem zugänglich.
Rein äußerlich unterschieden sich die beiden
Neuen im wesentlichen durch die Form der
Bug- und Heckgestaltung. Während der erika-
farbene Typ BMW 342 unter Beibehaltung des
typischen nierenförmigen BMW-Kühlerge-
sichts in Verbindung mit der ebenfalls BMW-
typischen Linienführung auf Kunden mit eher
biederem Designverständnis zielte, hatte man
bei der Entwicklung des hellblauen BMW 343
Exportmärkte im Visier: Der massige Kühler-
bug mit zwei breiten horizontalen und dünne-
ren senkrechten Chromleisten im "Haifisch-
schnauzen-Look" sowie der an Flugzeugkon-
struktionen erinnernde konzentrische Mittel-
punkt mit dem Firmenemblem (das BMW-Lo-
go!) zielten eindeutig auf den US-Geschmack.
Sehr wuchtig wirkten die schweren 343-
Chromstoßstangen mit den aufgesetzten gro-
ßen Hörnern sowie die Heckpartie mit der gro-
ßen Kofferklappe.
Beide Neuentwicklungen gingen nie in Serie,
weil nach der Rückgabe des BMW-Werks
durch die Sowjets an die DDR entwicklungs-
und produktionsseitig entscheidende Zäsuren
erfolgten. Ebenfalls auf der Strecke blieben
zwei auf dem BMW 340 basierende Kleinbus-
se. Bei beiden Fahrzeugen waren der Tiefbett-
kastenrahmen des 340 und dessen Fahrwerk
übernommen und eine Reihe von Detailverän-
derungen durchgeführt worden. Dazu gehörte
die Verstärkung der Torsionsfederstäbe, Ach-
sen, Aufhängungen und Stahlblechscheibenrä-
der. Für gute Fahrleistungen der Achtsitzer-
busse sorgte der in Verbindung mit drei Fall-
stromvergasern und veränderten Steuerzeiten
auf 90 PS leistungsgesteigerte Zweilitermotor
des BMW 340. Eine vergrößerte Ölwanne mit
7,5 statt 4,5 Liter Ölvorrat sowie ein Ölkühler
garantierten erträgliche Schmiermitteltempera-
turen trotz höherer thermischer Belastung.
Durch den recht munteren Motor in Verbin-
dung mit dem vom Baumuster 327 übernom-
menen - ebenfalls verstärkten - Viergangge-
triebe mit Knüppelschaltung wurde bei voller
Besetzung eine Höchstgeschwindigkeit von 130
bis 140 km/h erreicht.
Die Aufbauten der beiden Mikrobusse unter-
schieden sich wesentlich. Während die Ausfüh-
rung mit Stahlblechkarossene im Eisenacher
Betrieb entstand, entwickelte und fertigte das
Geraer Karosseriewerk Fleischer im Werksauf-
trag den zweiten Bus als absoluten Leichtbau:
Alu-Außenhaut auf dünnem Stahlrohrgerippe,
Sitzgestelle ebenfalls aus dünnem Präzisions-
stahlrohren, mit Kunststoffprofilschnüren be-
spannt und mit Schaumstoff abgepolstert. Der
formschöne Alu-Kleinbus, oft mit den Eisen-
acher Oberliga-Handballern unterwegs, fand
auch im Westen Aufmerksamkeit, wenn er mit
strammen 130 km/h über die Autobahn zog.
Der Übergang in DDR-Volkseigentum und die
Eingliederung in die damalige Hauptverwal-

 
Bericht aus Oldtimer Markt 11/1994


Automobil

tung Automobilbau in Chemnitz brachte nicht
nur das Aus für die bis dato durchgeführten
Automobilentwicklungen, sondern auch für
die Viertaktproduktion. Nun kam, gegen er-
hebliche Widerstände von Betriebsleitung und
Belegschaft, die letzte von der Chemnitzer Au-
to Union 1940 vorgestellte Pkw-Neukonstruk-
tion, der zweitürige DKW F 9 (nunmehr IFA
F 9), im EMW-Werk ins Programm. Die
Eisenacher wollten mehr und entwickelten un-
ter dem risikofreudigen Betriebsdirektor -
dem Schwaben Martin Zimmermann, für den
ein richtiges Auto vier Türen und einen geräu-
migen Innen- und Kofferraum haben mußte
-, "schwarz" den Wartburg 311 und setzten
auch bei Partei und Regierung dessen Produk-
tion durch. Mit dem reichhaltigen Typenpro-
gramm dieses Baumusters - von den Limousi-
nenausführungen über Coupé, Cabriolet,
Kombi, Camping-Limousine und Pick-up bis
zum rassigen Sportwagen 313-1 - konnten
aber wegen der begrenzten Produktionskapazi-
täten weder die Nachfrage im Inland noch die
im Export erfüllt werden. Für das sich abzeich-
nende Ende des Zweitaktmotors hatte man in
Eisenach bereits einen Viertakter in Form eines
Vierzylinder-Wasserboxers parat zum Einbau.
Eines der schönsten Fahrzeuge aus diesem Pro-
gramm war der Wartburg Bellevue, der aus
dem Prototypenstadium nicht herauskam.
Noch bevor das Programm der Baureihe Wart-
burg 311 im Jahre 1966 durch den Nachfolger-
typ 353 abgelöst wurde, experimentierte man
überdies mit einer Mittelmotor-Variante mit
liegendem Dreizylinder-Zweitakttriebwerk vor
der Hinterachse. Sowohl bei der Limousine,
dem Wartburg P 100, als auch beim Sportwa-
gen 313-2 gab es während der Erprobung er-
hebliche Probleme wegen der Kühlung (Kühler
seitlich vor der Hinterachse) und der schlechten
Zugänglichkeit des Unterflurtriebwerks.
Ende der sechziger und Anfang der siebziger
Jahre wurden auf der technischen Basis des
Wartburg 353 zwei bemerkenswerte Fahrzeuge
auf die Räder gestellt: Ein Coupé Wartburg
355 mit Kunststoffkarosserie, dessen spätere
Produktion in Stahlblechausführung geplant
war, und einen Kübelwagen Wartburg 400,
ebenfalls mit "Vollplaste"-Karosserie. Dieses
Fahrzeug war ein Entwicklungsauftrag der Na-
tionalen Volksarmee und mußte fallschirmab-
wurf und schwimmfähig sein. Im Hinterkopf
hatten die Eisenacher jedoch schon einen zivi-
len leichten Strandwagen für den Export. Ein
Prototyp davon, in Weiß mit roten Lederpol-
stern, wurde bereits 1972 dem griechischen Ge-
neralimporteur angeboten. Auch dieser Wagen
durfte nicht produziert werden.
Und dennoch glaubten manche Eisenacher im-
mer noch an die Evolution des Wartburg 353.
Da war einmal eine Gemeinschaftsentwicklung
der Automobilwerke Eisenach und Sachsen-
ring Zwickau, bei der die Star-Formgestalter
der DDR die Feder führten. Um den dabei ent-
standenen Prototyp-Wartburg 760, das soge-
nannte "Hängebauchschwein", gab es sehr vie-
le kontroverse Diskussionen.

Wartburg P100 mit Mittelmotor

Heckpartie des Wartburg P100. Aufgrund des Mittelmotors ließen sich zwei
Kofferräume - einer in Wagenfront, der andere hinten - installieren.
Wartburg 353 Kunstoffcoupe

Auf Basis des Wartburg 353 ent-
standen Ende der Sechziger fünf
Kunststoffcoupés.


Wartburg 353 (Selbsttragend)

Die Entwicklung des Wartburg 360 mit
selbsttragender Karosserie endete im
Oktober 1974.

Ein weiteres Gemeinschaftsprojekt, diesmal
zwischen den Autowerken Zwickau (Trabant)
und Eisenach (Wartburg) in Verbindung mit
Skoda in Mlada Boreslav war Mitte der siebzi-
ger Jahre das RGW-Autoprojekt 610 M, das
nach einem Regierungsabkommen beider Län-
der gebaut werden sollte. Dabei war folgende
Arbeitsteilung vorgesehen: Jedes Automobil-
werk baut eine eigenständige, in Einzelteilen
(Fensterheber, Türgriffe, Armaturen, Ausstat-
tungen) weitgehend standardisierte Karosserie.
Aus Zwickau sollte in großer Stückzahl die
Vollheckausführung kommen, Eisenach war
als Lieferant der Stufenheck-Sondermodelle
vorgesehen. Die CSSR sollte für die Viertakt-
motoren und die DDR-Seite für Getriebe und
Achsen einschließlich der Gelenkwellen zustän-
dig sein.
Wartburg 760 "Hängebauchschwein"

Beim denkbar häßlichen Wartburg 760
hatten die Designer des Zwickauer Trabant-
Werkes das Sagen.


RGW-Auto 610 M

Letzte größere Neuentwicklung der
Eisenacher war das viertaktende RGW-
Auto 610 M.

Die dabei geplanten Gesamtstückzahlen - bis
maximal 600.000 Einheiten pro Jahr - ver-
langten jedoch Investitionen in Größenordnun-
gen, die beide Länder, mitbedingt durch die
damalige Ölkrise, nicht aufbringen wollten
oder konnten. Alleine am Neubaustandort
Eisenach/West hätte ein Getriebewerk für 1,5
Milliarden Ost-Mark gebaut werden müssen.
Von den Ministerpräsidenten beider Länder,
Willi Stoph und Gustav Husak, wurde um die
Jahreswende 1976/77 das Projekt begraben.
Der Prototyp des RGW-Wartburg mit Front-
antrieb und selbsttragender Karosserie war die
letzte größere Neuentwicklung. Er befindet
sich heute ebenfalls im Fundus des Museums-
vereins, der nach wie vor über den Eisenacher
Ausstellungspavillon gebietet.

Horst Ihling

 
Bericht aus Oldtimer Markt 11/1994


 
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