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Zunächst jedoch war an Automobile nicht zu denken. Ohne Hilfe seitens der amerikanischen Mili- tärverwaltung, die von Anfang April bis Ende Juni in Eisenach herrschte, und gegen den Wi- derstand noch residierender BMW-Direktoren organisierte der gebildete Arbeiterausschuß vordringlichste Aufräumungsarbeiten und die Aufnahme einer Notproduktion von Haushalts- gegenständen, Kochtöpfen, Gartengeräten und Handwagen. Bei dem Abzug der Amerikaner wurde der ruinierte Betrieb vollends ausgeplündert. Erst mit der Errichtung der sowjetischen Mi- litärverwaltung in Eisenach konnten neue Ver- hältnisse geschaffen und Festlegungen über weitere Vorgänge getroffen werden. Da wurde eine Delegation bei der SMAD in Berlin-Karlshorst vorstellig und bekam als Vor- aussetzung für eine endgültige Entscheidung die Auflage, bis zum 10. September 1945 fünf Automobile als Baumuster zu liefern. "Unsere Belegschaft hat sich mit Begeisterung an die Arbeit begeben und in Tag-, Nacht- und Sonn- tagsarbeit innerhalb von sechs Tagen diese fünf Automobile hergestellt", äußerte der da- malige Werkleiter in einem Presseinterview. Die mühsam aus verlagerten Ersatzteilbeständen montierten und fahrtüchtig gemachten Wagen überzeugten: Der SMAD-Befehl Nr. 93 vom 13. Oktober 1945 ordnete an, mit der Herstellung von Kraftfahrzeugen zu beginnen. Er war und ist die Geburtsurkunde für den neuen Automobilbau in Eisenach. Bereits Mitte Oktober 1945 setzte die Ferti- gung von Automobilen ein, und bis zum Jah- resende waren 68 Stück hergestellt Es handelte sich um Wagen des Typs 321. Mit der Aufnahme des Werkes als Zweig- betrieb in die Staatliche Aktiengesellschaft Awtowelo kamen sowjetische Hilfeleistungen mit Material und Werkzeugmaschinen, Unter- stützungen wurden bei den Aufräumungsarbei- ten und der Wiederinbetriebnahme instandge- setzter Werksanlagen gegeben, neue Sozialein- richtungen entstanden, Erfahrungsaustausche mit sowjetischen Neuerern vermittelten wert- volle Erkenntnisse in der Anwendung moderner Fertigungsmethoden, unter sowjetischer Anlei- tung begann das Beherrschenlernen fortschritt- licher Produktionsprozesse. Das Werk tat die ersten Schritte zum sozialistischen Großbetrieb. 1947 waren 16 000 Kubikmeter Schutt und über 8000 Tonnen Trümmerschrott geräumt. |
Im gleichen Jahr, 1947, produzierte der Be- trieb bereits 2035 Personenkraftwagen vom Typ 321 und 2500 Motorräder R 35. 1948 stieg die Produktion auf 2398 Wagen und 2957 Motor- räder. Ebenfalls noch 1948 lief zusätzlich die Her- stellung des Modells 327-2 an, des sportlichen Coupés bzw. Kabrioletts, 2/2-sitzig und mit 55 PS leistendem 1971-cm³-Sechszylindermotor. Parallel zu Produktionssteigerungen war das Werk schon wieder in die Lage versetzt, kon- struktive Weiterentwicklung zu betreiben. Sie richtete sich einmal auf das Motorrad R 35. Zum anderen erfolgte die Entwicklung des Per- sonenkraftwagens 340-2, der schon frühzeitig internationale Tendenzen im Bau großer Auto- mobile der Hubraummittelklasse veranschau- lichte. So zeigte der neugestaltete Aufbau, viertürig und weit geräumiger als der des 321, bereits Ansätze zur sogenannten Pontonform. Am Motor, der schon im 327-2 eingebaut wurde brachten diverse Detailverbesserungen einen Anstieg auf 55 PS Leistung. Das Fahrwerk, das nun durch eine exakt geführte Hinterachse und deren Abfederung durch längsliegende Drehfederstäbe gekennzeichnet war, ergab Verbesserungen von Fahreigenschaften und Fahrkomfort. Der Typ 340-2 ging 1949 in Serie und wurde einschließlich der Sonderausführungen, dem Kombi und dem Lieferwagen sowie dem Sani- tätsfahrzeug, bis 1953 gebaut. Ab Oktober 1945 wurden in Eisenach wieder Automobile gebaut. Erstes Nachkriegsmodell war der aus dem 1936 im Werk entstandenen 320 weiterentwik- kelte Personenkraftwagen Typ 321, eine zwei- türige Limousine mit 45 PS leistendem 1971- cm³-Sechszylindermotor. |
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Das Typenprogramm 340-2 (Bild links) bein- haltete neben der viertürigen Limousine auch Sonderausführungen, so z. B. den Lieferwagen. 1954 brachte das Rennkollektiv des Werkes völlig neuentwickelte 1,5-Liter-Sportwagen an den Start (Bild rechts). Diese "AWE" zählten zu den schnellsten Rennfahrzeugen in ihrer Klasse. Die Rennbeteiligung wurde aber nach 1956 eingestellt, um fortan sportliche Leistungs- demonstrationen direkt mit den produzierten Serienwagen anzutreten. Am 5. Juni 1952 übergab die Sowjetunion das Automobilwerk Eisenach in das Volkseigen- tum der Deutschen Demokratischen Republik. Durch die vom Sommer 1945 an gewährten Hilfen der Sowjetunion waren die Kriegsschä- den im Werk beseitigt, eine Wiederherstellung zu 90 Prozent der früheren Kapazität erreicht und eine Spitzenproduktion in der Kraftfahr- zeugindustrie der DDR eingenommen. Davon ausgehend erfolgte in den Händen der Werktätigen unter Führung der Arbeiter- klasse und ihrer marxistisch-leninistischen Par- tei die weitere sozialistische Entwicklung des VEB Automobilwerk Eisenach innerhalb des IFA-Industrieverbandes Fahrzeugbau der DDR. Der für die DDR-Kraftfahrzeugindustrie be- trächtliche Effektivitätszuwachs durch das Ei- senacher Werk mit seinem Produktionspotential ermöglichte und veranlaßte zugleich Umstruk- turierungen in den Typenprogrammen, die ge- rade für den Eisenacher Automobilbau ebenso umwälzende wie zukunftsweisende Verände- rungen beinhalteten. Diese Maßnahmen im Industriezweig zielten auf Bereinigung des Typensortiments unter be- sonderer Berücksichtigung gesteigerter Produk- tion von Fahrzeugen mit ökonomisch günstigen Kennwerten ab. |
Dabei wurden internationale Trends auf län- gere Sicht hin sorgfältig eingeschätzt und ana- lysiert. Mit Beginn der fünfziger Jahre zeichnete sich die Entwicklung des Automobils zum modern- sten individuellen Verkehrsmittel schon unmiß- verständlich ab. Der Bedarf stieg rapide an. In Verbindung damit entstanden u. a. in der westdeutschen Automobilindustrie Rollermobile und Kleinstwagen, die sich jedoch auf die Dauer wegen unzulänglicher Gebrauchseigen- schaften als Fehlentwicklungen herausstellten. Andererseits entsprachen auch die großen Zwei- liter-Sechszylinder-Limousinen 340-2 kaum noch den Verhältnissen. So übernahm 1953 der VEB Automobilwerk Eisenach die Produktion des zuvor in Zwickau gefertigten Personenkraftwagens IFA F 9. |
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Aus der Weichenstellung mit dem IFA F 9
entwickelte der Eisenacher Automobilbau ein ganz neues PKW-Konzept und schuf die modernen WARTBURG-Automobilgenerationen. Die Aufnahme des kleineren und zweitaktmotorisierten IFA F 9 verlief im Werk anfangs nicht ohne Zurückhaltung und Vorurteile. Alsbald aber stand das gesamte Werkskollektiv fest für den neuen Typ ein. Stückzahlen und Erzeugnisqualität stiegen ständig. Gleichlaufend zur Serienproduktion des IFA F 9 erfolgten binnen kurzer Zeit schon erhebliche Verbesserungen des Wagens. |
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Die Verbesserungen am IFA F 9 bestätigten, wie schnell es im Werk gelang, spezielle Pro- bleme des Zweitaktmotor-Frontantriebautomo- bils nicht nur zu erkennen, sondern diese auch auf Anhieb zu beherrschen und neuen Lösun- gen zuzuführen. So wurde die Leistung des 900- cm³-Motors von 28 auf 32 und dann auf 34 PS gesteigert, verbesserte Nebenaggregate, ge- änderte Schaltung und Karosserieretuschen brachten weitere Aufwertungen. Inzwischen aber, bereits 1954 beginnend und schon ein Jahr später in Versuch und Fahr- erprobung abgeschlossen, wurde vom Werk an durchgreifender Weiterentwicklung gearbeitet. Die hierzu klar formulierte Zielstellung lief auf einen neuen Eisenacher Automobiltyp hinaus, der auf der bereits weiterentwickelten Baugrup- penbasis von Fronttriebwerk und Fahrwerk nun auch eine vollkommen neue Karosserie auf- weisen sollte. Die ersten Nullserienfahrzeuge dieses neuen Eisenacher Mittelklasse-Frontan- triebwagens liefen bereits Ende 1955. Das Bau- muster trug die Typ-Numerierung 311. Zur Leipziger Frühjahrsmesse 1956 fand die Vorstellung der neuen Modelle unter der von nun an geltenden Markenbezeichnung WART- BURG vor der breiten Öffentlichkeit statt. Der WARTBURG 311 steckte bei seinem Er- |
scheinen schon vollkommen neue Automobil- Maßstäbe ab: Der neue Eisenacher Typ war von der Motor-Basis her in der Hubraumskala zwischen Kleinwagen und bisherigem Mittel- klassebereich plaziert. Dort knüpfte er nach unten hin an günstige Kosten- und Wirtschaft- lichkeitsfaktoren an und stellte andererseits Leistungsmerkmale, Geräumigkeit und Kom- forteigenschaften bereit, die sonst erst von der Hubraum-Mittelklasse erwartet wurden. Kon- struktiv abweichend von üblichen Mittelklasse- Standards waren der bereits 37 PS leistende Zweitaktmotor und der progressive Frontantrieb mitbestimmend für neue Gebrauchswerteigen- schaften und kennzeichnend für die vorbild- liche Gesamtkonzeption. In solchem Zusammenhang ist wieder ein Blick auf die Entwicklung im internationalen Automobilbau jener Jahre aufschlußreich und interessant. Besonders der mit dem WARTBURG anvisierte Hubraumbereich wurde bald ausge- sprochen populär und daher zu einem stark belegten Aktionsfeld auch anderer europäischer Automobilwerke. Es kristallisierte sich die Ka- tegorie genau der "Tausender" heraus. Dort wurde indessen fast ausschließlich mit Heck- triebwerken operiert. Der Frontantrieb, heute bei Wagen der unteren Hubraum-Mittelklasse |
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überwiegend angewendet, hielt erst sehr viel später Einzug im europäischen Automobilbau. Der VEB Automobilwerk Eisenach entwickelte während dieser Zeit den viertürigen, großräu- migen Frontantriebwagen WARTBURG 311 zügig weiter. Die Modellreihe mit Standard-Limousine, zweitürigem Kabriolett und Kombiwagen wurde 1957 bereits aufgestockt durch Limousine de luxe, Coupé sowie eine international neue Va- riante, nämlich die fünftürige Camping-Limou- sine und ferner einen zweisitzigen Sportwagen. Parallel erfolgten ständige Vervollkommnun- gen. Sie reichten von einem neuen Ziergitter über das vollsynchronisierte Vierganggetriebe bis zu Befestigungspunkten für Sicherheitsgurte - sie waren damals noch keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Ab 1962 kam für den WARTBURG 311 der auf 992 cm³ Hubraum vergrößerte Motor zum Einsatz. Mit nun 45 PS Leistung sowie einem max. Drehmoment von 9,5 kpm dieses Fronttriebwer- kes und mit seiner großformatigen Karosserie rangierte der WARTBURG 311 über dem Durch- schnitt vergleichbarer Wagen der Einliter-Hub- raumklasse. Bereits 1963 aber wurde vom Werk intern wieder ein vollkommen neues Prototypmodell 1966 erschien der WARTBURG 353, gekenn- zeichnet durch die neue Fahrwerkskonstruktion mit Schraubenfederung und Einzelradaufhän- gung aller vier Räder und durch eine nach mo- dernsten Kriterien gestaltete neue Karosserie (Bilder links und oben). Ein Teilstück in der 353er Weiterentwicklung war der Einsatz des 50-PS-Motors 353-1 (Bild rechts), Dieser neue Motor wurde zur Leipziger Herbstmesse 1969 als Schnittmodell vorgestellt und fand großes Publikumsinteresse. |
vorgeführt. Es gab schon genaue Aufschlüsse über die Zielabsichten und die Wege zur Reali- sierung. Als neue Aufgabe wurde, ausgehend von der WARTBURG-Grundkonzeption und be- zogen auf längerfristige Gültigkeit im Perspek- tivzeitraum, formuliert: Schaffung eines mo- dernen Frontantriebwagens der in mehrfacher Hinsicht als vorteilhaft erkannten unteren Hub- raum-Mittelklasse mit optimierten Gebrauchs- werteigenschaften und überdurchschnittlichen Komfortmerkmalen. Die demgemäß verwirklichte Neuentwicklung wurde stufenweise in die Serienproduktion überführt. Die erste Phase bestand im Einsatz des 45- PS-Fronttriebwerkes zusammen mit einem voll- ständig neuentwickelten Fahrwerk ab Herbst 1965 bei dem sogenannten Übergangsmodell 312, dieses noch mit dem bisherigen Aufbau. In der zweiten Stufe folgte dann der Einsatz der ebenfalls vollkommen neuentwickelten Ka- rosserie. Der Schritt dazu erfolgte nach so prä- zisen Vorbereitungen, daß keine Fertigungs- unterbrechung eintrat, planmäßig am 1. Juli 1966. An diesem Tage begann die Serienprodukt- ion des Eisenacher Automobiltyps WARTBURG 353. |
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